Videosoziologie – Audiovisuelle Kulturen der Selbstthematisierung

Die neuen Amateure – zur Konjunktur einer Sozialfigur

Die neuen Amateure – zur Konjunktur einer Sozialfigur

5. & 6. Juni 2014

Jahrestagung der Sektion Professionssoziologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kooperation mit der Sektion Wissenssoziologie und dem Projekt "Audiovisuelle Kulturen der Selbstthematisierung"

Organisation: Boris Traue (TU Berlin) und Michaela Pfadenhauer (KIT Karlsruhe).

Die Teilnehmeranzahl der Tagung ist begrenzt. Zur Anmeldung wenden Sie sich bitte an unser Organisationsteam: [email protected]



Seit etwa zwanzig Jahren ist ein Bedeutungszuwachs verschiedener Laienpraktiken zu verzeichnen: Amateure und Amateurisierungen sind ins Licht öffentlicher Aufmerksamkeit getreten. Bastler, Blogger, Social Entrepreneurs, Netizens, Citizen Scientists, Berater und andere Freiwillige haben sich neben den mehr oder weniger organisierten ‘Liebhabern’ des Sports, der Künste, des Glaubens, des Funks und der Pornographie etabliert.

Diese Entwicklung ist überraschend, zeichnen sich funktional differenzierte Gesellschaften doch durch eine Durchsetzung der Beruflichkeit als durchgreifendem sozialem Ordnungsprinzip aus, das in Gestalt des Expertentums und der Professionalität Status- und Positionszuweisungen organisiert. Andererseits gingen viele heute beruflich verfasste zentrale Wissens- und Tätigkeitsfelder aus Kulturen der Liebhaberei, des Erfindens und der Selbsthilfe hervor – so dass die Rückkehr zu vorberuflichen Ausprägungen dieser Praktiken die Frage erlaubt, welchen Strukturwandel die Renaissance des Amateurs anzeigt und wie die Amateure diesen Wandel wiederum kulturell und ökonomisch prägen.

Mit Verberuflichungs- und Professionalisierungsprozessen ging im 19. Jahrhundert eine Abwertung des Amateurismus einher, die allerdings immer wieder gegenkulturelle Reaktionen und Versuche der Etablierung alternativer Ökonomien hervorrief: von Amateurkunstbewegungen um 1900 bis zum “home improvement” der 1950er Jahre und den Do-It-Yourself-Kulturen (“DIY” ) der 1970er Jahre. In der Arbeitsgesellschaft und dem ‘kommunikativen Kapitalismus’ der Netzwerkgesellschaft sind derartige Gegenbewegungen zu bedeutenden technologischen, kulturellen und politischen Faktoren avanciert. Während die Amateurkulturen des beginnenden und mittleren 20. Jahrhunderts als gegenkulturelle Bewegungen entweder marginalisiert blieben oder – wie das Heimwerken – einer Kommerzialisierung unterlagen, fordern die neuen Amateurkulturen das Berufsprinzip sowie die Experten und Professionellen heraus:

Blogging stellt eine ernsthafte Konkurrenz für den berufsmäßigen Journalismus dar; Citizen Science (Wikipedia, Plagiatsjäger) stellt die Selbstkontrollkompetenzen der Wissenschaft in Frage, bürgerschaftliches Engagement ersetzt teilweise wohlfahrtsstaatliche Aufgaben, Internet-Kirchen konkurrieren mit der Attraktivität der Großkirchen, Webvideo etabliert sich als alltägliches audiovisuelles Angebot neben dem Fernsehen. Andererseits ist das Anwachsen des Ehrenamtssektors Ergebnis geplanter Beschäftigungsinitiativen, die schädliche Effekte von neoliberalen Arbeitsmarktreformen abfangen und kompensatorische Aufgaben erfüllen sollen. Diese gegenläufigen Entwicklungen werfen die Frage auf, von welchen Ökonomien die Amateurpraktiken belebt werden und ob die Amateurpraktiken eine Erweiterung oder Bedrohung verberuflichter und professionalisierter Tätigkeitsfelder darstellen.


Die neuen Amateure müssen damit als widersprüchliche Sozialfigur verstanden werden, die nach ausführlicher sozialwissenschaftlicher Analyse verlangt. Die Tagung schafft die Gelegenheit, die vielfältigen Sozialfiguren und Ökonomien der Amateure kulturhistorisch, empirisch, vergleichend, oder zeitdiagnostisch zu erkunden und ihre gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu thematisieren.